Palim Palim
Text: Prof. Dr. Thomas Hanstein
Palim, palim … so höre ich mein Smartphone tönen, als ich noch unter der Dusche stehe. Ich habe mir den Ton einstellen lassen, nachdem mich das Standardgeräusch an meinem neuen Gerät immer in Stress versetzt hatte. Mit diesem Sound verhält es sich anders: Ich putze mir die Zähne, föhne Haare und Bart, höre noch einige „Palim Palim“ … und es breitet sich innerlich ein freies, weites Gefühl aus, das mein Geist, meine Seele und mein Körper mit diesem Uraltsketch von Dieter Hallervorden verbinden. Schon als Kind hielt es mich – auch nach dem hundertsten Mal Anschauen – nicht im Fernsehsessel, als „Didi“ dem „Kunden“ auf dessen Aufforderung „Ich möchte gerne Pommes frites“, feixelnd erwidert: „Ja ham Se denn ’ne Flasche mit?“
Vorausgegangen war – jeder kennt sie – die surreale, selbstverständlich-komisch dargestellte Frage an den Ladeninhaber, köstlich gespielt von Hallervorden, nach einer „Flasche Pommes frites.“
Ganz ähnlich verhält sich mein Körper bei neuen Whats-App-Nachrichten. Hier macht es laut „Quak, quak“. Dieser Ton erinnert mich daran, wie jedes Jahr im Frühjahr die Frösche in den kleinen Tümpel in unserem Garten – als Gäste für ein paar Wochen – kommen, um sich bald darauf wieder – ohne viel Gequake – auf und davon zu machen. Der erste Ton gibt mir ein Framing von Leichtigkeit, Humor, heiterer Widersprüchlichkeit; der zweite das Gefühl davon, nichts halten zu können, dass das Leben – mit seinen täglichen Überraschungen – so kommt und geht, wie es dies will. Und dass es genauso sein darf und gut ist.
Was nach Kleinigkeiten klingen mag, hat einen gravierenden Einfluss auf Affektregulation und das Wohlbefinden. Während mich noch vor Jahren jeder Ton am Smartphone in die direkte Reaktion versetzt hat, so reagieren heute meine Gesichtszüge entspannt auf das „Palim Palim“ und „Quak Quak“. Die Reaktion verbleibt auch im Äußeren: Ich spüre das dann daran, wie sich meine Lachfalten leicht aufbauen und sich meine Krähenfüße aufstellen – und jedes Mal neu aufmerksam werden. Noch vor wenigen Jahren fuhr mir manches Geräusch in Mark und Bein. Das Interessante daran ist, dass sich weder die Inhalte potenzieller Nachrichten noch die Absender geändert haben. Auch gibt es Geräusche zu „Unzeiten“, in denen ich gar keine neue Nachricht mehr gebrauchen kann. All das interessiert mein tiefsitzendes „Palim Palim“ - und „Quak -Quak-Körpergefühl“ nicht. Beide Geräusche haben es geschafft, ganz andere Bereiche im Geist und in der Seele zu triggern. Mit einer wohltuend entspannenden Wirkung.
Welche Töne haben Sie auf Ihrem Smartphone? Was bewirken diese in Ihnen? Schauen Sie einmal auf die Uhr und notieren Sie, wie lange Ihre Affektregulation anhält. Welche Strategien haben Sie bereits ausprobiert, um sich nicht zu jeder Tag- und Nachtzeit von Ihren digitalen Nachrichten beeinflussen und in Ihrem Arbeits- und Ruherhythmus bestimmen zu lassen?
Unser mittleres „Kind“ – mittlerweile bereits absolvierter BWL’er – veranstaltete mit mir einmal dieses Quiz: Ich sollte „mal tippen“, wie oft ich am Tag mein Smartphone in die Hand nehmen würde. Ohne Sie mit dieser x-stelligen Zahl zu behelligen, sei verraten: Ich lag überdeutlich daneben, genau genommen mit meiner Einschätzung unterirdisch darunter. Und stritt ab, dass er mit seiner Einschätzung auch nur annäherungsweise im Bereich der Realität liegen würde. Seine Coolness, die er bei dem Satz „Doch, doch, so ist es, safe …“ ausstrahlte, ließ nichts Gutes erahnen: Der findige Analyst hatte vor einigen Tagen eine App auf meinem Smartphone installiert, die meine Berührungen seither festhielt. Auch wenn mich diese „Wette“ ordentlich was kostete, hielt sich mein Ärger (über mich selber) im Zaum. Den Zählmodus behielt ich bis heute aufrecht. Und beim einhundertsten Mal pro Tag erscheint ein drittes Geräusch – jedoch ganz anders als das „Palim Palim“ und „Quak Quak“. Mein lieber Sohn hat die Wirksamkeit dieser – wie ich ihm jedes Mal neu vorwerfe – „Konditionierung des Vaters aus später Rache“ übrigens derart optimiert, dass ich mit einem Mix meiner Lieblingssongs beschallt werde (ich habe bis heute nicht herausgefunden, wie sich das stoppen lässt), wenn ich kleine Erfolge bei der Handynutzung einfahre. Positive Bestärkung für mediensuchtanfällige Väter, so in etwa lautete offenbar die Mission meines Sohnes. Dabei war vor wenigen Jahren noch ich derjenige, der der dauerhaften jugendlichen Ungeduld mit einer Litanei an lieben Worten beizukommen versuchte.

Illustration: Caecilia Büscher
