Der weite Blick – Quellen der Erneuerung
Text: Dr. Carsten Kolbe
Die Apollo 8 Mission sendete die ersten Bilder der Erde aus dem Weltall vom Mond aus gesehen. Viele Menschen nahmen unsere Erde das erste Mal als blauen, schönen und zerbrechlichen Planeten wahr. Die Schönheit speist sich aus Quellen. Ohne den Kreislauf des Wassers ist unsere Welt nichts. Quellen speisen gereinigtes Wasser, erneuern unseren Planeten und ermöglichen erst unser Leben auf dem Land. Sie faszinieren die Menschen, denn sie sind mehr als nur das reine Wasser. „Und nun, was zögerst du? Steh auf, lass dich taufen und deine Sünden abwaschen und rufe seinen Namen an (1).“ Wir tauchen ein in das Wasser, sind unter Wasser, abgeschlossen von der Luft. Wir sind zerbrechlich und bedroht bis wir wiederauftauchen. Mit dem ersten Atemzug kommen wir auf die Welt, mit dem ersten Atemzug nach der Taufe erneuern wir unser Leben, waschen unser altes Leben ab.
Wasser als Quelle
Schon im Judentum begeht man die besonderen Situationen im Leben mit einem Bad in fließendem Quell- oder Flusswasser, der Mikwe. Die Urchristen und heute u. a. noch die Baptisten tauchen für die Erneuerung und die Verbindung mit Jesus Christus und Gott die Täuflinge ganz unter Wasser.
Wer keinen Fluss oder See auf dem Grundstück hat, nimmt ein wohltemperiertes Wasserbecken in einer Kapelle – das Baptisterium. Bei der katholischen und evangelischen Kirche genügen heute ein paar Spritzer Wasser. Die hochsymbolische Handlung ist wassersparend, auch wenn dies als neuer Teil der Botschaft sicher nicht die ursprüngliche Intention war. In weiten Teilen der Welt ist Wasser bereits ein kostbares, da knappes Gut. Deutschland erschien bis vor wenige Jahre davon kaum betroffen. Durch den Klimawandel nimmt vielerorts die Wasserarmut erheblich zu. Das Konfliktpotential steigt weltweit und Dürre- und Hitzeflüchtlinge werden sich auf den Weg machen.
Die Quellen der Erneuerung für ein Morgen
Wollen wir im Sinne eines guten Lebens überleben, stehen wir vor einem tiefgreifenden Wandel unserer Gesellschaft. Die meisten können und wollen es gar nicht abschätzen. Es läuft ja so, wie es läuft… Schnell verlässt uns der Mut. Dabei gibt es bereits jahrhundertalte erprobte institutionelle Systeme, um Ressourcen gesellschaftlich und naturraumbezogen effizient zu nutzen. Manchmal liegen Quellen der Erneuerung in der Vergangenheit und brauchen „nur“ ein Update, um den Herausforderungen der Zukunft begegnen zu können.
Elinor Ostrom erhielt im Jahr 2009 als erste Frau den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften als Anerkennung für ihr Lebenswerk. Sie erforschte die Organisation der Kooperation. Ihr Ausgangspunkt war die „Tragik der Allmende“. Menschen übernutzen gemeinschaftliche Güter aus Eigennutz (2). Die Allmende ist eine ursprünglich gemeinschaftlich genutzte Weide. Jede:r will mit seinem Vieh die Weide maximal nutzen. Aufgrund von zu schwachen Nutzungs- und Ausgleichsregeln wird die Weide durch Übernutzung zerstört und alle Beteiligten und Anwohner:innen verlieren. In Afrika gibt es ein Sprichwort, welches sinngemäß heißt, wir alle essen nur noch grüne Früchte. Da jede Person die Früchte an einem Baum auf Gemeindeland pflücken darf, werden diese immer früher gepflückt, mit dem Ergebnis, dass niemand mehr reife Früchte essen kann.
Ostrom untersuchte weltweit moderne wie auch jahrhundertalte Strukturen zur Nutzung von gemeinschaftlichen Gütern wie Weide- und Forstland oder auch der Wasser- und Energienutzung. Ihr Team und sie fanden dabei acht Grundregeln heraus. Diese kooperativen oft lokal orientierten, informellen oder auch institutionellen Formen der Zusammenarbeit funktionieren mit diesen Regeln gut. Sie sind in vielen Fällen den marktwirtschaftlichen oder zentralstaatlichen Lösungswegen weit überlegen.
Das Nobelkomitee führte damals aus, dass Menschen „häufig raffinierte Mechanismen“ der Entscheidungsfindung und Regeldurchsetzung entwickelt haben, um „drohende Interessenkonflikte“ im Umgang mit Gemeingütern jenseits von Staat und Markt zu entschärfen (3).
Wasch mich?
Das Weltwirtschaftsforum (WEF) befragte 800 Experten im Jahr 2019 zu Risiken. Das Ergebnis: Die größte Bedrohung der Menschheit mit dem höchsten Potential zum Scheitern bei der Lösung ist heute der Klimawandel (4). Wir haben ein großes Staats- und Marktversagen. Wir brauchen neue institutionelle Verfahren, um eine gesellschaftliche Erneuerung zu schaffen. Oder wie der Präsident des Weltwirtschaftsforums, Børge Brende sagte: „Dies ist das Jahr, in dem die Staats- und Regierungschefs mit allen Bereichen der Gesellschaft zusammenarbeiten müssen, um unsere Kooperationssysteme zu reparieren und neu zu beleben“ (5).
Unser Planet ist zerbrechlich. Ostrom zeigt uns Lösungen, wie die Tragik der Allmende eine historisch-lokale Erfahrung bleiben kann und keine weltweite wird. Wir brauchen dafür auch jede:n einzelne:n. Es muss ja nicht gleich eine „ökologische“ Taufe sein, aber „wasch mich und mach mich nicht nass“, geht in Zukunft nicht mehr. Der Weg der Erneuerung liegt vor uns. Es gibt viele Quellen der Kraft und Hoffnung dafür – wie auch diese Ausgabe des DIPLOMAgazins wieder zeigt. Aber es bleibt auch ein dunkler Moment für die Generation, für die Kinder, die uns heute morgens auf dem Weg zum Kindergarten in die Augen schauen.
Quellen und Beiträge zur Vertiefung:
(1) Bibelserver: Apostelgeschichte (agp) Lutherbibel 2017, https://www.bibleserver.com/LUT/Apostelgeschichte22%2C16 (Download 23.03.2022)
(2) Stollorz Volker, 05.07.2011: Elinor Ostrom und die Wiederentdeckung der Allmende. https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/33204/elinor-ostrom-und-die-wiederentdeckung-der-allmende/#footnote-target-1 (Download 23.03.2022)
(3) The Sveriges Riksbank Prize in Economic Sciences in Memory of Alfred Nobel 2009, Press Release Nobelprize Organisation, 12.10.2009: https://www.nobelprize.org/
prizes/economic-sciences/2009/ostrom/164465-ostrom-williamson-interview-transcript/ (Download 23.03.2022)
(4) Weltwirtschaftsforum 15.01.2020: The Global Risk Report. https://www.weforum.org/reports/the-global-risks-report-2020 (Download 23.03.2022)
(5) https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-01/weltwirtschaftsforum-studie-klimawandel-bedrohung-umweltrisiko-oekosystem
Bildquelle S. 14: https://www.nasa.gov/image-feature/apollo-8-earthrise – The sudden announcement of a flight around the Moon in late 1968 seemed to be an invitation for another disaster. The picture perfect Apollo 8 mission, launched 50 years ago on December 21, 1961, reminds us that difficult odds can be overcome by skilled, determined people. That feeling of hope and triumph is summarized in this image, taken as the Apollo 8 spacecraft rounded the far side of the Moon, by NASA‘s Bill Anders on December 24, 1968.

Illustration Beatrice Schild