Impulse für Achtsamkeit: Die Kutsche in Schuß halten
Text: Prof. Dr. Andreas Lanig /// Illustration Menili Litzel
„Ich spüre, dass ich meine familiäre Prägung zwar schätze, aber ein eigenes Berufsfeld brauche, in dem ich mich wirklich ausleben kann. Ich habe hier eigentlich keine Vorbilder, deshalb fange ich noch einmal neu an.“
Die Kutsche in Schuss halten: Körper, Emotionen, Geist und Seele im Gleichgewicht
Ein Bild, das ich uns allen aus dem Buch „Das Jochen Schweizer Prinzip“(Schweizer 2024) mitgeben möchte, ist die Kutschenmetapher. Obwohl ich das Buch eher aus Unterhaltungsgründen gelesen habe, hat mich die Idee inspiriert:
• Kutsche (Körper): Achte auf Gesundheit, Bewegung und Ausgeglichenheit – nur so kannst Du in Studium und Lehre langfristig leistungsfähig bleiben.
• Pferde (Emotionen): Emotionen können einen enorm antreiben, aber auch aus der Bahn werfen. Es kommt darauf an, sie
weder zu unterdrücken noch ungezügelt wüten zu lassen.
• Kutscher (Verstand): Ohne reflektierenden, klaren Verstand fehlt Dir (oder uns Lehrenden) die nötige Orientierung. Entscheidungen müssen bewusst und verantwortungsvoll getroffen werden.
• Passagier (Seele): Hier liegt das „Warum“, das innere Feuer und der Sinn, der dich motiviert. Im Fernstudium – wo Du weniger Impulse von außen hast – ist diese „Seele“ Dein wichtigster Antrieb.
Ein zweiter literarischer Bezug, ebenfalls aus einer eher populären, erzählerischen Richtung, ist John Streleckys „Zeit für Fragen im Café am Rande der Welt“ (2024). Seine Thesen über den Sinn des Lebens und den „kosmischen Algorithmus“ mögen blumig klingen, sind aber für uns designpädagogisch fruchtbar, weil sie betonen, wie wichtig es ist, sich immer wieder die entscheidenden Fragen zu stellen.
• Warum bin ich eigentlich hier – welche Werte und Ziele will ich verwirklichen?
• Was hält meinen Geist wach und lebendig?Als Lehrende und Lernende können wir daraus Folgendes ableiten: Lernen und Lehren braucht sinnstiftende Motive, um über die reine Technik hinauszuwachsen. Wer sein „Warum“ erkennt, geht den Weg mit mehr Klarheit und Ausdauer. All diese Gedanken führen uns zurück zum Anfang: zu den Worten der Studentin, die sich aus ihrem familiären beruflichen Umfeld lösen will, weil sie spürt, dass sie ihren eigenen Weg gehen muss. Deine Geschichte, Deine bisherigen Erfahrungen und Deine Träume sind kraftvolle Erzählungen. Sie verbinden Dich mit Deinem inneren „Passagier“ – Deiner Seele – und helfen Dir, Dich von überholten Mustern zu befreien.
„Ich habe mich von dem alten Berufskonzept meiner Familie gelöst und gemerkt, dass ich im Design einen Raum gefunden habe, in dem ich mich ausdrücken und entwickeln kann. Natürlich war es ein Sprung ins kalte Wasser, aber gerade darin spüre ich, wie ich wachse“. So eine Designstudierende.
Dieses Wachsen steht für die transformative Kraft eines Studiums – vor allem dann, wenn wir bereit sind, Körper, Emotionen, Geist und Seele zu kultivieren. Und halten wir fest: Nach diesen Phasen des Wachsens legen wir eine Ruhephase ein. Lassen wir uns auf das Wagnis (ein Wagen!) ein, unsere Erzählungen zu hinterfragen, zu teilen und immer wieder neu zu erfinden. Genau darin entsteht die Gemeinschaft, in der wir alle wachsen – und in der sich Studieren als Tätigkeit erweist, die Wissen, Können und Verantwortung im planetaren Sinn und Zweck miteinander verbindet.

Illustration Menili Litzel