Lebensringe – Wachstum und Werte
Text: Prof. Dr. Kathrin Rothenberg-Elder
Illustration: Juliana Mestiço <julianamestico@gmail.com>
Vor Kurzem habe ich in einem alten Rucksack gekramt und ein paar Münzen gefunden: 2,35€. Ich kam mir unendlich reich vor. Ich überlegte fieberhaft: Was kann ich alles mit 2,35€ machen? Ich bin in diesem Momenten ganz subjektiv und bei mir und denke nicht daran, das Geld einfach wegzugeben. Für Leute, die es wirklich brauchen: Für ein Schließfach, das sie wirklich brauchen. Oder die Münze für einen Wäschereiautomaten in einem Obdachlosenheim....
In meiner Welt denke ich in diesen egoistischen – funkelnden! – Momenten so:
2€ passen in die Schließfächer des Schwimmbads, in das ich wöchentlich gehe. Aber es reicht nicht für den Eintritt.
2€, das ist ein sehr billiger Bäckereikaffee to go. Und ein Tee in einem der kleinen türkischen Restaurants unseres Viertels. Ich werde ihn trinken und nach draußen auf die Straße und die vorbeiziehenden Menschen schauen.
2€, das sind so die Pausen, die ich mir ermögliche, spontan während während eines Termins und einer Aufgabe und der nächsten.
2€ sind 2 Briefmarken für einen Standardbrief. Es bleibt sogar noch etwas übrig. Da ich zu den Dinosauriern gehöre, die Briefe mit ihren Freunden und Freundinnen wechseln, ist diese Währung für mich bedeutsam.
Als Kinder haben mein Bruder und ich so gerechnet:
Wie viele Lakritzschnecken etwas ist. Oder Colaflaschen aus Weingummi. Das höchste war dann ein Fahrrad mit –hundert D Mark (50 EUR)! Das schien unendlich viel Geld zu sein. Dabei verdienten unsere Eltern gut. Aber wir wuchsen in großer Bescheidenheit auf, und dafür bin ich mindestens nachträglich, war aber hier und da auch während meiner Kindheit dankbar.
Diese Tradition großer Bescheidenheit hat mir bis heute das Glück ermöglicht, mich über 2,35€ zu erstaunen, zu wundern und zu freuen - und dann in den nächsten Laden zu gehen und eine Postkarte zu kaufen oder etwas Süßes und mich:
unendlich reich zu fühlen.

Illustration: Juliana Mestiço