Wenn die Sprache versagt
Mit diesem Zitat möchte ich das Thema der Vielstimmigkeit einläuten und Sie mitnehmen auf eine Reise der Limitation, nämlich zu den Momenten, wo Menschen NICHT die Möglichkeit haben sich kommunikativ so auszudrücken, dass sie verstanden werden. Was macht das mit Betroffenen? Was passiert im Inneren? Und wie können diese dunklen Momente überwunden werden?
Logopäd:innen arbeiten als Therapierende, unter anderem, der Stimme und der Sprache. Sie begleiten Patient:innen nach erworbener Krankheit, wie zum Beispiel einem Schlaganfall, aber auch bei entwicklungsbedingten Problemen, wie Sprachentwicklungsproblemen. Bei einer logopädischen Therapie steht meist eine mitgebrachte eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit im Mittelpunkt. Dies bedeutet, dass Betroffene nicht in der Lage sind Sachverhalte, Gedanken, Gefühle, usw., sprachlich auszudrücken. Sie werden durch eine erworbene und/oder entwickelte Störung der Möglichkeit der sprachlichen Vielstimmigkeit und Flexibilität beraubt. Das oberste Ziel einer jeden Therapie ist das Erreichen der bestmöglichen individuellen Teilhabe der betroffenen Personen in deren sozialen und beruflichen Kontexten.
Nun stellen Sie sich einmal vor, Sie möchten etwas sagen, aber es geht nicht mehr. Sie stehen in der Bäckerei, Sie sind als nächstes an der Reihe und plötzlich kommt kein Wort mehr heraus. Was passiert da mit Ihnen?
Die Bundesvereinigung der Stotterer-Selbsthilfe e. V. hat dafür eine klare Definition: Sie stottern, denn Stottern ist „etwas sagen wollen und es nicht aussprechen können“ (www.bvss.de). Stotternde Personen erleben jeden Tag viele dunkle Momente, die es gilt zu überwinden, um am täglichen Leben, in einer Welt, die überwiegend kommunikativ funktioniert, gefahrlos teilzunehmen. Beginnend auf dem Bildungsweg, formend durch eine passende Berufswahl und fortführend durch die Arbeitswelt wird das Stottern bei Betroffenen stets mitgetragen und täglich aufs Neue bekämpft. Bewusst wird hier der Bezug zu sozialen Kontexten ausgeklammert, denn meistens beschreiben Betroffene einen ‚sicheren Kreis‘, in dem sie sein können, wie sie eben sind. Logopädische Therapie kann helfen Strategien und Techniken zu erlernen, um diese dunklen Momente zu bekämpfen, jedoch ist das Stottern unheilbar und ist und bleibt immer Teil der betroffenen Persönlichkeiten.
Zur Verdeutlichung dieser Kommunikationsproblematik erzähle ich Ihnen nun von Brian.
Brian ist derzeit Student des Faches Mathematik. Er möchte später in einem Unternehmen an einem Computer arbeiten, da müsse er nicht viel reden und könne seine Arbeit stets schweigend vollbringen. Brian stottert. Es wissen aber nicht viele über sein Stottern Bescheid, nur seine Familie, seine zwei besten Kumpels und seine Verlobte. Er erinnert sich, dass er als kleiner Junge bereits gestottert habe. Damals sei es nicht weiter schlimm gewesen, denn es sei keinem aufgefallen. Mit Beginn der Mittelstufe sei die Stotterproblematik dann größer geworden, denn Mitschüler:innen fingen an ihn auszulachen und auszugrenzen. Dies führte zu einer persönlichen Umstrukturierung von einem sehr extrovertierten Jungen hin zu einem eher introvertierten jungen Mann, der sein Sprechen täglich monitorte. Die Wahl des Studienfachs Mathematik war beabsichtigt, denn Brian wusste, dass wenig mündliche Prüfungen und wenig Präsentationen auf ihn zukommen würden. Er wisse mittlerweile – besser als früher – mit seinem Stottern umzugehen und wie er es verstecken könne. Wenn man ihn fragen würde, ob er mit seiner Studienwahl glücklich sei, würde er dies bejahen – er ist es wirklich –, aber tief im Inneren hätte er eigentlich den großen Wunsch, Journalist zu werden und Reportagen durchzuführen. Dies sei aber leider nicht möglich. Brian leide unter zu vielen dunklen Momenten! Er könne keine Reportage machen, in der ihm bis zum Ende zugehört werden würde, damit verstanden wird, was er sagen möchte. Erfahrungen haben ihm gezeigt, dass er zu lange brauche und sein Gegenüber gerne schneller reagieren/antworten wollen würde. Glücklicherweise bieten neue Wege der Kommunikation (Media-Plattformen) ihm die Möglichkeit, seine Bedürfnisse als Hobbyjournalist auszuleben. Hier würde er zwar keine moderierten Reportagen durchführen, aber durch die schriftliche Kommunikation trotzdem seinen Beitrag zu ausgewählten Themen über einen eigenen Blog teilen, ohne dass er von dunklen Momenten gestoppt werden würde.
Es ist schön zu wissen, dass Brian einen eigenen Weg gefunden hat, seine eigene Vielstimmigkeit auszuleben, obwohl die Ausgangssituation nicht geändert werden kann. Dennoch möchte ich aus Sicht der Logopädie einen Impuls teilen, der für das Gegenüber in Kommunikationssituationen gemeint ist, denn, ganz nach dem Zitat von Stephen R. Covey, können alle einen Beitrag dazu leisten, dass betroffene stotternde Personen sich in ihren dunklen Momenten wohler fühlen und diese unbeschwert überwinden können. Dafür gibt es ganz einfache Regeln: Zuhören, um zu verstehen und Zeit lassen, um die stotternde Person aussprechen zu lassen, denn sie möchte verstanden werden. Das Ungünstigste, was ein Gegenüber tun kann, ist das Ergänzen des fehlenden Wortes und/oder das Zu-Ende-Bringen eines angefangenen Satzes (auch wenn es gut gemeint ist). Wenn wir als Gegenüber Raum geben, ehrliches Interesse zeigen und aktiv zuhören, können dunkle Momente zu helleren Ereignissen transformiert werden.

Illustration: Antje Schulz