Nachhaltiges Leben: Tischgespräche

Text: Astrid Hilbert

Die Abzugshaube dröhnt und der Geruch von Öl und Apfelmus zieht rüber ins Esszimmer. Heute hat unsere Tochter für uns gekocht. Die Oma hatte ihr beim letzten Besuch eine große Packung Kartoffelpufferteig aus dem Supermarkt mitgebracht. Während mein Mann und ich den Tisch decken, überlegen wir, welche Zutaten nach den Rezepten unserer Omas wohl in Kartoffelpuffer gehörten. „Ist da eigentlich Ei drin, damit die Kartoffelspäne besser zusammenkleben?“, frage ich ihn ahnungslos. „Warum glaubt ihr eigentlich, dass überall Ei drin sein muss“, höre ich unsere Tochter plötzlich wütend aus der Küche rufen. 
 

Sie ist 17 Jahre und ernährt sich seit einigen Jahren aus Überzeugung streng vegan. „Immer denkt ihr, es muss überall Ei drin sein! Man braucht nicht für alles tierische Produkte, damit man es essen kann.“ Natürlich war die Frage auch so gar nicht gemeint. Aber schon waren wir wieder mitten in unserem „Lieblingstischgepräch“: Natürlich kann man auch ohne tierische Produkte satt werden. Aber ist das wirklich nachhaltig? Was auch immer unsere Omas in ihre Reibekuchen mischten, laut der Inhaltsstoffe auf dem Plastikeimerchen, in dem sich der Kartoffelpufferteig für unser Mittagessen befand, war dieser definitiv vegan und somit sicher ohne Ei! Es wurde also kein Tier dafür ausgebeutet. Aber was ist eigentlich mit der Verpackung?  

Eine Plastikflasche braucht 450 Jahre bis sie sich in der Natur in Mikroplastik zersetzt hat. Vollständig wird sie sich vermutlich nie auflösen (vgl. AWM, 2018).

„Warum machst du deinen Kartoffelpufferteig eigentlich nicht selbst“, frage ich unsere Tochter. „Es dauert viel zu lange, die Kartoffeln alle zu schälen und zu reiben“, antwortet sie knapp. Ich schlage ihr die Küchenmaschine vor. Doch die benötigt Strom und Stromgewinnung belastet ebenfalls unsere Umwelt. 

Aber Strom schafft auch Arbeitsplätze, wende ich ein. Ich finde, dieser Aspekt wird oft vernachlässigt: Wer keine Arbeit hat, hat i.d.R. auch kaum Geld und fürchtet akut um seine Existenz. Der wird kaum darüber nachdenken, ob sein Gemüse aus der Region kommt oder, dass die Plastiktüte seiner Nudeln sich auch nach mehreren hundert Jahren nicht vollständig zersetzt hat. Um Nachhaltigkeit wird er sich erst wieder kümmern, wenn seine wirtschaftliche und soziale Existenz gesichert ist.

„Was nützt ihm Geld, wenn es unsere Erde bald gar nicht mehr gibt?“ fragt unsere Tochter natürlich berechtigt. Die Welt gehe schließlich uns alle etwas an und da sei es egoistisch, keine Rücksicht zu nehmen, nur weil man wenig Geld habe. 

„Beim Vorstellungsgespräch muss er aber seine Alleinstellungsmerkmale betonen und sich besser verkaufen als all die anderen Bewerber“, erkläre ich ihr. „Da ist er Einzelkämpfer. Wir leben in einer Welt, in der es allzu oft nur darum geht, sich gegen andere zu behaupten und dabei autonom zu bleiben.“ 

In 20% aller Familien wachsen Kinder bei Alleinerziehenden auf. Tendenz steigend (vgl. Bremer Gewürzhandel, o.J.)! Wie sollen z.B. diese Kinder die Vorzüge von Zusammenhalt und Gemeinschaft innerhalb von Familie kennenlernen und Gemeinschaftssinn als Lebenskonzept für sich verinnerlichen? Was doch schon in der eigenen Familie nicht funktioniert, lässt kaum erwarten, dass es gar gelingen könnte, mit allen Menschen der Erde an einem Strang zu ziehen. Noch dazu, wenn Kriege die Nachrichten beherrschen.

Geht es wirklich darum, eine gemeinsame Welt für uns alle zu erhalten, oder ist unsere Vorstellung von Nachhaltigkeit vielleicht doch zu wohlständig gedacht? Nachdenkliches Schweigen. „Aber Nachhaltigkeit kostet doch eigentlich gar kein Geld“, bricht unsere Tochter schließlich die Stille: „Wenn man nachhaltig lebt, dann spart man doch ganz viel. Wenn man z.B. auf das Auto verzichtet oder Fahrgemeinschaften bildet, spart man Benzin. Das ist gut für das Klima und für den Geldbeutel.“

Das ganze Dilemma an der Klimadebatte scheint im Grunde zu sein, dass unsere Erde nur gemeinschaftlich zu retten ist. Gleichzeitig leben wir aber in einer Gesellschaft, in der wir uns immer mehr abgrenzen, aus der Masse hervorheben und uns auf uns selbst verlassen müssen, um existieren zu können. Um nachhaltig zu leben, braucht man kaum Geld. Aber wenn man zugleich aktiv und erfolgreich an unserer Gesellschaft teilnehmen möchte, dann schon. 

Schließlich ist Geld der Motor, der unsere Gesellschaft antreibt. Es birgt das diffuse „Versprechen“, glücklich zu machen. Allerdings nur, wenn man mehr davon hat als andere (vgl. Zeit-Online, 2012). Denn Geld ist einerseits ein Tauschmittel, aber es hat auch eine „Rechenmittelfunktion“: Durch Geld lassen sich unterschiedliche Werte miteinander messen. Es hat zudem eine „Wertaufbewahrungsfunktion“ (vgl. Gabler Wirtschaftslexikon. Das Wissen der Experten, o. J.). Für z.B. 100 Euro bekomme ich im Billigmodemarkt vielleicht drei neue Pullover, made in „Billiglohnland“. In einem Geschäft, das auf Nachhaltigkeit und Fairtrade achtet, bekomme ich für den gleichen Preis wahrscheinlich nur einen einzigen Pullover. Womöglich wurden die Billigpullover sogar noch einmal mit dem Flugzeug quer über die Welt geschickt, während der Fairtradepullover vielleicht in einem EU-Land produziert wurde und einen viel kürzeren Weg bis zum Endverbraucher hat. Die Arbeit, die in einem Pullover steckt, ist die gleiche. Der Preis richtet sich jedoch danach, wie dringend ein Arbeiter das Geld braucht und was er bereit ist, dafür zu leisten. So lässt sich durch Geld sowohl der soziale Status als auch die Lebensqualität verbessern. Und das wirkt sich sogar auf die Lebensdauer aus (vgl. Zeit-Online, 2012). 

„Ist das nicht total krank“, empört sich unsere Tochter: „Einerseits sind wir alle aufeinander angewiesen, weil wir die Güter und Dienstleistungen der anderen brauchen. Andererseits müssen wir aber mehr haben als die anderen, damit wir länger leben.“ – „Genau“, antworte ich, „damit wir LÄNGER leben“. – „Oh Gott“, stöhnt mein Mann lachend auf, „jetzt sind die Kartoffelpuffer fast alle aufgegessen, aber eure Diskussion nimmt noch kein Ende! Ihr kommt ja von einem Problem zum nächsten“. „Das hängt ja auch alles irgendwie zusammen“, stellt unsere Tochter fest und überlegt, „aber was kann man dann machen, um die Erde noch zu retten?“ – „Ihr seid doch schon mitten dabei“, meint mein Mann, während er auf seinem Handy herumscrollt: „Am besten beginnt man im Gespräch: Indem jeder versucht, den anderen und seine Bedürfnisse zu verstehen, statt sich gegenseitig Vorwürfe zu machen, kommt man am ehesten auf einen gemeinsamen Nenner.“ Meine Tochter und ich schauen uns nachdenklich an. „Hier steht übrigens, dass die Durchschnittstemperaturen von 1961-1990 um 0,4 Grad gestiegen sind“ (vgl. Umweltbundesamt, 2021), informiert mein Mann und fügt hinzu, dass in den Kartoffelpuffern, wie sie unsere Omas noch gemacht haben, meistens Ei enthalten sei. Die meisten Rezepte, die er gefunden hat, seien nämlich mit Ei. „Also gut“, schlage ich vor, „dann gibt es nächstes Wochenende noch mal Kartoffelpuffer, aber selbstgemacht und ohne Küchenmaschine.“ – Unsere Tochter verdreht die Augen. „Eines der Rezepte, die ich gefunden habe, ist auch ohne Ei (vgl. KiTa Fachtexte, 2014)“, zwinkert mein Mann ihr zu. „Wir machen es zusammen, dann geht es schneller und niemand wird bzgl. seiner Arbeitskraft mehr ausgebeutet als andere“ necke ich sie aufmunternd. „Ok“, antwortet unsere Tochter, „eure Omas haben also Kartoffelpuffer noch mit Ei gemacht und die Durchschnittstemperaturen lagen deutlich unter denen von heute. Dann frag ich mich aber, was die damals noch für Tischgespräche hatten!?“ – „Also, bei meiner Oma wurde bei Tisch gar nicht gesprochen“, erklärt mein Mann, „das war sogar noch so, als ich klein war“. – „Tja, vielleicht ist genau das das Problem?“ kontert „the next Generation“ …
 

Literaturverzeichnis

AWM (Abfallwirtschaft in München) (2018); Abfallquiz. awm-muenchen.de/fileadmin/user_upload/verantwortung/4_AWM_Abfallqui.pdf, abgerufen: 13.3.2024

Bremer Gewürzhandel (o. J.); Vegane Kartoffelpuffer ohne Ei. bremer-gewuerzhandel.de/vegane-kartoffelpuffer-ohne-ei , abgerufen 13.3.2024
KiTa Fachtexte (2014); Braukmann, Lisa. Einblicke in die Lebenswelt alleinerziehender Eltern, kita-fachtexte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/KiTaFT_braukmann_2014.pdf, abgerufen 13.3.2024

Umweltbundesamt (2021); Häufige Fragen zum Klimawandel, umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/klimawandel/haeufige-fragen-klimawandel#temperaturanstieg abgerufen 13.3.2024

Zeit-Online (2012); Buhse, Malte. Was Geld mit uns macht. Online im Internet: zeit.de/wirtschaft/geldanlage/2012-10/oekonomie-geld-forschung-glueck-unglueck, abgerufen 13.3.2024

Gabler Wirtschaftslexikon. Das Wissen der Experten (o. J.); Budzinski, Oliver. Geld, wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/geld-32540, abgerufen 13.3.2024
 

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Illustrationen: Jasmin Christians

Illustrationen: Jasmin Christians

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