Gefühle in Schubladen?
Text: Annika Molatta
Wenn ich Gefühle beschreiben muss, fällt mir das in der Regel nicht besonders schwer. Ich kann gut reflektieren, habe mir dies durch viele persönliche therapeutische Erfahrungen erarbeitet und kann die Emotionen meistens gut einordnen. Vor einiger Zeit kam ein ganz neues Gefühl dazu, das sich wundervoll anfühlte und doch nicht in meine bisherigen Schubladen gepasst hat. Das Gefühl löst in mir etwas wie Bauchkribbeln aus oder den Impuls zu singen und zu tanzen. Es weckt in mir Tatendrang und unheimlich viel Zuversicht.
Auf meiner kleinen Erkundungsreise des Ursprungs des Gefühls landete ich unweigerlich bei meiner neuen Arbeitssituation. Der Zustand, die Arbeit nicht verlassen zu wollen und sich auf den neuen Arbeitstag so unheimlich zu freuen, waren neu für mich.
Ich habe bisher in meinem Arbeitsalltag viele unschöne Erfahrungen gemacht – ob das nun an mir oder an meinem Umfeld lag, weiß ich nicht. Aber die Emotionen, die ich bisher mit meinem Arbeitsplatz verbunden habe, die insbesondere mit dem Arbeiten in einem Team zusammenhingen, waren stets von tiefgreifender Angst besetzt. Als wären alle positiven Emotionen immer in Begleitung eines kleinen Angst-Aufsatzes. Letztlich habe ich vermutlich immer wieder eine selbsterfüllende Prophezeiung erlebt. Je mehr ich mir gesagt habe, dass es sowieso nicht besser wird, desto angstbeladener wurde ich und desto mehr bin ich in meinem Rückzug versunken. Der tiefe Wunsch, endlich einmal anzukommen und einen Platz zu finden, an dem ich ganz und gar ich sein darf, war immer da, aber so richtig finden konnte ich meine Seelenheimat in der somatischen Pflege nicht.
Mit dem Psychologiestudium begegnete ich zum ersten Mal Menschen, die ähnliche Motivationen mitbrachten. Die Offenheit, die mir damit begegnete, war wie ein Tor zu einer neuen Welt.
Alles veränderte sich, als ich meine Arbeitsstelle in die Psychiatrie verlegte und dort, ohne es im Voraus zu ahnen, in einem Team ankam, das mich mit offenen Armen empfing. Fehler waren mit einem Mal keine Fehler mehr, sondern Chancen, neue Dinge zu lernen.
Es gab liebevolle Hinweise darauf, ohne Angriff gegen meine Person. Themen, die mich beschäftigten, konnte ich mit einem Mal ansprechen und die Wertschätzung, die mir für das Offenlegen meiner Sorgen entgegengebracht wurde, war ein absoluter Seelenstreichler. Dankbarkeit. Das Gefühl, das mich seither begleitet, meinen Wissensdurst fördert und ungeahnte Energiereserven hervorruft.
Mit dieser neuen Situation und dieser Sicherheit im Rücken ist auf einmal auch meine Lebenshaltung eine andere. Mir fällt es deutlich leichter, mich abzugrenzen, mich zu positionieren, auf andere emotional eingehen zu können oder Konflikte auszuhalten. Meine Ängste sind dadurch nicht ausgelöscht und sie erfüllen durchaus weiterhin ihre Schutzfunktion vor Momenten, die in der Vergangenheit Schwieriges ausgelöst haben. Dennoch überwiegt das Sicherheitsempfinden und dafür bin ich unendlich dankbar.
Ich habe lange viele Dinge für selbstverständlich gehalten, doch erst als ich in den Situationen steckte, in denen ich verstanden habe, was es heißt, sich von Herzen etwas zu wünschen und es zu bekommen, habe ich auch verstanden, was Dankbarkeit wirklich bedeutet. Einen beruflichen Weg zu finden, der so gut zu mir passt und bei dem ich merke, dass ich ungeahnte Kräfte für Studium, Beruf und Kind gleichzeitig aufbringen kann, macht mich dankbar.
Die Gelegenheit, Dinge zu lernen, die mir viel Freude bringen, liebevolle Menschen um mich herum und engagierte Lehrende sind ebenfalls etwas, für das ich sehr dankbar bin.
Das Gefühl der Dankbarkeit hat mir die Flügel gegeben, um selbstständig fliegen zu können. Es erweckt in mir einen Schmetterling, der sich zwar vorsichtig, aber mutig nach vorne tastet und dabei jeden Sonnenstrahl auffangen kann. Gleichzeitig fliegt er von Blume zu Blume und kostet jeden wertvollen Moment aus.
Es ist ein bisschen so, als hätte die Sonne mich aus meinem Kokon befreit. Die Sonne ist in diesem Fall ein wertschätzendes, liebevolles, emphatisches berufliches, aber auch studientechnisches Umfeld, das mir stets das Gefühl gibt, ein wichtiger Teil zu sein, dazuzugehören und endlich ich sein zu dürfen.


Illustrationen: Anne Lange