Nachhaltige Ermächtigung an der Hochschule: besonderer Förderbedarf?!
Text: Prof. Dr. Carsten Rensinghoff
Wenn wir unter Nachhaltigkeit die Nutzung von Ressourcen verstehen, dann hat Nachhaltigkeit für den hochschulischen Bereich eine herausragende Bedeutung, nämlich für die Menschen, die mit einem so genannten sonderpädagogischen Förderbedarf lehren und lernen.
Über welche Ressourcen sprechen wir da eigentlich, die das Lehren und Lernen mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf nachhaltig prägen? Vielleicht sollten wir bei dieser Betrachtung mit dem Lernen unter den besonderen Bedingungen eines sonderpädagogischen Förderbedarfs beginnen.
Der oder die sonderpädagogischen Förderbedarfe können ganz unterschiedlich sein, so wie wir Menschen das eben auch sind. Da gibt es – und auf diese Unterscheidung beruft sich das System Förderschule in ihrer Kategorisierung – den sonderpädagogischen Förderbedarf:
- im Sehen;
- im Hören;
- in der Sprache;
- in der sozialen und emotionalen Entwicklung;
- im Lernen;
- in der körperlichen und motorischen Entwicklung;
- in der geistigen Entwicklung.
Durchaus bezweifelt werden darf, ob eine Kategorisierung, die letzten Endes zu einer Separierung führt, im Zuge der Inklusion zeitgemäß ist. Die Kolleginnen und Kollegen, die auf dem Feld Disability Studies oder Behinderungswissenschaft eine betroffenenkontrollierte Forschung und Lehre durchführen, stemmen sich vehement gegen eine Kategorisierung in Behinderungsarten. Für die Disability Studies ist das Erforschen des Behindernden, also der Barrieren, entscheidend.
Eine förderpädagogische Kategorisierung kann sich mitunter nachhaltig auswirken, weil die Ressourcen unerkannt bleiben oder bleiben müssen. So stellt Georg Feuser 1996 fest, dass der Mensch mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf nur so und nicht anders sein darf. „Ein Beispiel: Der Lehrplan für die Primarstufe des Landes Bremen (1. bis 4. Schulj.) sieht vor: Rechnen in der Grundschule bis eine Million; in der Schule für Lernbehinderte bis eintausend, in der Schule für geistig behinderte findet Rechnen keine Erwähnung, als gäbe es für Menschen, die wir in dieses Klassifikationsraster bringen, keine Welt des Quantifizierbaren. Was wir annehmen, daß der andere nicht lernen kann, bieten wir erst gar nicht zu lernen an, mithin hat er auch keine Möglichkeit, sich Welt über das hinaus anzueignen, was wir vorgeben. So muß er bleiben und sein, was und wie wir meinen, daß er ist!“
Für ein nachhaltiges und von Ressourcen geleitetes hochschulisches Lernen und Lehren ist der Blick auf die individuellen Ressourcen zu richten, die sich unter Umständen in den Live-Online-Kontaktblöcken eines Fernstudiums realisieren lassen, weil etwa der Besuch von Lehrveranstaltungen in Präsenzhochschulen behinderungsbedingt nicht möglich ist.
Für die nachhaltige Lehre mit Behinderung sind die Erfahrungen von Pablo Pineda Ferrer bedeutsam. Der 1974 geborene und mit dem Down-Syndrom Lebende, hat pädagogische Psychologie studiert und arbeitet als Lehrer.
„Er ist der erste Mensch mit Down-Syndrom in Europa mit akademischem Titel“ (Pineda 2014, 5). Pablo Pineda betont, so der Dekan des Colegio Profesional de la Educación de Madrid – Roberto Salmerón Sanz – in seinem Vorwort, dass die Entwicklung zum Menschen in der Lehre von höchster Bedeutung ist (vgl. ebd., 6).
Literatur:
Feuser, Georg (1996): „Geistigbehinderte gibt es nicht!“ Zum Verhältnis von Menschenbild und Integration. URL: bidok.uibk.ac.at/library/feuser-geistigbehinderte.html [abgerufen am 27.06.2024].
Pineda, Pablo (2014): Herausforderung Lernen. Ein Plädoyer für die Vielfalt. Zirndorf: G&S Verlag.

Illustration: Menili Litzel
