Aufgeben ist keine Option
Text: Text: Jan-Ole Himmel
Mein Studium begann ich an einer anderen Uni im Studiengang Mono Bachelor Chemie. 2018-2023 startete ich dann das Studium der Sozialen Arbeit an der Diploma. Mein studentisches Leben war voller Höhen und Tiefen. Die erste Hürde, welche mich als Student später ins Straucheln bringen sollte, wurde bereits in meiner Kindheit diagnostiziert. Als Legastheniker ist es für mich nicht die größte Herausforderung einen Text zu verstehen, sondern meine Antwort vollständig auf Papier zu bringen. Ich vergesse nicht nur ganze Buchstaben, sondern denke manchmal so lange darüber nach, wie ein Wort richtig geschrieben wird, dass ich schon die Antwort auf einen späteren Teil der Frage festhalte. Als solches lasse ich gerne mal ganze Worte aus einem Satz weg, wenn ich mich nicht auf das Schreiben konzentriere. In meinem Fall wurde eine isolierte Rechtschreibschwäche festgestellt.
Um den zweiten Tiefpunkt meines akademischen Strebens zu verstehen, muss kurz auf den ersten eingegangen werden: Meine erste Uni war flächendeckend der Meinung, Legasthenie sei nicht real. Ich würde mir nur einen unfairen Vorteil verschaffen wollen, weil ich zu dumm sei, das Studium ohne zu bestehen. Ich müsse mir nur mehr Mühe geben, etc. Sie zwangen mich mit 19 Jahren bei einer Kinderpsychologin ein neues Attest erstellen zu lassen, weil sich die Legasthenie ja verwachsen haben könnte, nur um mir dann doch keinen Nachteilsausgleich zu geben, weil ein solcher gegenüber anderen Studenten unfair sei. Ganz besonders in Erinnerung ist mir die erste Professorin geblieben, die ich um Hilfe bat. Sie sagte mir, so wie ich aussehe, sei ich nur zu faul, um die notwendige Arbeit zu machen. Einige Prüfungsleistungen wie Klausuren wurden gar nicht erst bewertet, weil zu viele Rechtschreibfehler auf der ersten Seite waren.
Sie können sich vielleicht vorstellen, wie erleichtert ich war, als ich an der DIPLOMA sofort einen Nachteilsausgleich bekam. Die DIPLOMA war für mich ein sicherer Hafen. Mit dem Nachteilsausgleich in der Hand bin ich weitgehend problemlos mit guten Noten durch das Studium gekommen. Naja, zumindest waren alle Fehler meine Schuld. Je näher die erste Bachelorarbeit kam, je unsicherer wurde ich. Kann ein Legastheniker überhaupt einen Hochschulabschluss machen? War ich vielleicht wirklich unfähig, nur zu faul oder zu dumm? Hätte ich mich in meinem ersten Studium nur mehr anstrengen müssen? War ein Nachteilsausgleich unfair?
Der Druck und die Ängste aus dem ersten Studium wurden erneut wach und ich habe resigniert. Eine dumme Reaktion. Diesen Fehler habe ich hoffentlich zum letzten Mal begangen. Anstatt mit meinem Professor darüber zu reden oder mich an den Vorgaben zu orientieren, habe ich einfach nur versucht, irgendwas zu produzieren, das für eine 4,0 reicht. Im Rückblick betrachtet hatte ich Angst, mein Bestes zu geben „denn, wenn ich mein Bestes gebe und trotzdem nicht bestehe, hätte das bedeutet, dass die Laborleitung und Professoren aus dem ersten Studium recht hatten, das ich wirklich nur unfähig war oder faul und ein Nachteilsausgleich einen unfairen Vorteil darstellte.“
Als solches reihte ich lediglich Fakten zusammen ohne Struktur und Reflexion. Das konnte ich mir damals natürlich nicht eingestehen und so habe ich mich selbst sabotiert und hatte gleichzeitig die absurde Hoffnung irgendwie noch durchzurutschen und zu bestehen.
So bin ich also durch meinen ersten Versuch einer Bachelorarbeit an der DIPLOMA gefallen. Würde ich jemals einen Abschluss machen? Bin ich unfähig? Ich hatte zu diesem Zeitpunkt zu viel Zeit und Geld in einen Bachelor investiert, um aufzugeben, aber was nun? Wie geht es weiter? Erneut zeigte sich die DIPLOMA als sicherer Hafen. Ich brauchte Hilfe. Um zu erfahren, wie es weitergeht, wurde ich an Prof. Dr. Uwe Völkening weitergeleitet. Als nächstes brauchte ich ein Thema, in dem ich bestehen konnte. Das war meine letzte Chance, sonst hätte ich nichts erreicht, außer meine Jugend und eine Menge Geld zu verschwenden. So wollte ich über etwas schreiben, von dem ich Ahnung habe. Etwas, das mich interessierte. Videogames! Ohne Prof. Dr. Völkening hätte ich das nicht gekonnt, denn Medienpädagogik war nicht Teil meines Bachelorstudiums. So kam ich zu Dr. Kolbe und hier liegt die erste große Lektion. Sie brauchen einen zuverlässigen Betreuer, dem Sie sich anvertrauen können, an ihrer Seite. Sehr hilfreich war dann der Druck, ein Exposé zu schreiben, ein Inhaltsverzeichnis zu erstellen und die Ermunterung, wissenschaftlich in Hypothesen, Thesen und Antithesen zu denken.
Der letzte große Unterschied zu meiner ersten Arbeit war, dass ich mich nun traute, meine Ergebnisse zu reflektieren. Eine solche Arbeit ist doch immer eine Reflexion seines eigenen Schreibprozesses. Am Ende jeden Kapitels schrieb ich eine solche für mich. Viel davon ist später im Fazit gelandet oder gekürzt worden.
Am Ende bleibt zu sagen, egal wie ausweglos es aussieht, es gibt einen Weg, ob Sie nun die Hochschule wechseln oder iIhren Betreuer mit Anrufen bombardieren: Sie müssen sich nicht dafür schämen etwas nicht geschafft zu haben, sondern nur dafür, es nicht probiert zu haben! Manchmal müssen wir auch erst mit dem Rücken zur Wand stehen, um den Mut zu haben, weiterzumachen. Aber vielleicht versuchen Sie beim Wechsel eines Studiums eine Hochschule zu finden, die Ihnen Ihren bisherigen Weg anerkennt. Wenn Sie aber wie ich ganz neu anfangen, dann denken Sie daran: Es ist egal wie lange Sie brauchen, Hauptsache, Sie gehen am Ende mit Leidenschaft zur Arbeit.

Illustration: Antje Schulz