Kleidung und Empowerment
Ich komme aus und lebe in einem religiösen Haushalt, in dem zudem verdächtig viele Mitglieder einen Heilberuf ausüben. Insofern sind Prophetie, Wunder und Offenbarungen Teil meiner ganz alltäglichen familiären Erfahrung und nichts, weshalb man sich Sorgen machen müsste bei uns.
Vor kurzem war ich in Frankfurt. Ich kann sehr schüchtern sein, aber gleichzeitig wollte ich unbedingt das Atelier
einer dortigen Modemacherin besuchen, bei der Lagarde, DIE Lagarde, schon einmal eingekauft hat. Sie brauchen mir das nicht zu sagen, ich weiß, dass ich nicht immer poliert und modisch angezogen bin. Aber ich bin selbstbestimmt angezogen.Und wie so viele Phänomene, die sozusagen auf der Haut des Menschen liegen,
interessiert mich Mode sehr stark. Kleidung beeinflusst die Haltung, unsere Bewegungen, unsere Freiheiten und
Beschränkungen, und zudem hängen Mode und Status und Macht auf jeden Fall zusammen, das ist nun wirklich ein Allgemeinplatz, und gerade im Bezug auf Frauenbekleidung finde ich es höchst interessant. Geradezu eine Offenbarung wert. Durch die vielen Rollen und Positionen, die wir im Laufe unseres Lebens begleiten, frage ich mich, wie verändert sich unsere Kleidung. Oder bleibt sie immer gleich?
Als ich vor dem Atelier der Modemacherin ankam, öffnete sie gerade wieder ihr Atelier. Ich nutzte die Gelegenheit, um Ruth Löffelholz eine Frage zu stellen, die mich seit langem umtreibt. Warum hat Frauenkleidung so wenig
Taschen? Mich ärgert das: Fehlende Taschen machen uns unselbstständig (vgl. George Takei). Fehlende Taschen, insbesonders fehlende Innentaschen, führen dazu, dass wir leichter beklaut werden, weil wir eben nicht unsere Sachen in die Innentasche eines Sakkos oder eines Mantels stecken können. Fast alle der von ihr designten Kleidungsstücke haben Innentaschen, sogar die kleinen figuranliegenden Sakkos, und zwar mit Reißverschlüssen! Auch wenn ich mir ihre Kleidung nicht leisten kann, gestattete ich mir ein Moment der Anbetung, der reinen Faszination.
Bitte versuchen Sie es einmal selbst, wie Sie gerade hier sitzen und das lesen – wie viele Taschen besitzt ihre Kleidung gerade? Wie viele Innentaschen? Wie viele Taschen mit Reißverschlüssen? Könnten Sie, so wie sie gerade angezogen sind, hopsen und ihr Handy wird nicht herausfallen? Sie sind schon ganz lange nicht mehr gehopst? Dann wird es aber Zeit. Und dann noch die Übung für die wagemutigen Könner: Könnten Sie Purzelbäume schlagen in ihrer Kleidung, ohne sich zu entblößen?
Jetzt habe ich ja nicht gefragt, ob Sie Frau oder Mann oder fluid sind, aber wenn ich mit gemischten Gruppen darüber rede, wie vor kurzem tatsächlich in einer Veranstaltung über Selbstfürsorge, in der wir einen kurzen genüsslichen Ausflug zu dem Thema Mode und Selbstfürsorge machten, da zeigt sich ein Nachschulungsbedarf für den männlichen Teil. Ja, viele Frauenkleidung hat keine Taschen, und erst recht keine Innentaschen
und erst recht keine Taschen mit Reißverschlüssen. Es macht uns unselbstständiger. Es macht uns verletzlicher.
Das führt dazu, dass wir uns nicht so viel bewegen und nicht so unbefangen bewegen wie Männer. Und: es macht mich wütend.
Ich habe beschlossen, es zu ändern. Ich kaufe nur noch Kleider oder Röcke oder Hosen, in denen Taschen drin sind. Und in die anderen Kleidungsstücken, die in meinem Besitz sind und die ich besonders lieb gewonnen habe, lasse ich von der Schneiderin meines Vertrauens einfach Taschen einnähen. So einfach ist es.
Text: Prof. Dr. Kathrin Rothenberg-Elder

Illustration ©Elena Linge