Über die Rolle von Mentor*innen

Was mir zu Beginn dieser aufregenden Reise „Studium“ jedoch nicht bewusst war: Dass sich diese akademische Welt ganz anders anfühlt als die Arbeits- und Alltagswelt, die ich bisher kannte. Oftmals theoretisch, irgendwie abstrakt und manchmal sogar ziemlich lebensfern. Eine unerwartete Herausforderung. Es ist ein bisschen, wie eine neue Sprache zu lernen. Es hat gut zweieinhalb Semester gedauert, bis ich endlich das Gefühl hatte, wenigstens einigermaßen in dieser Welt angekommen zu sein, auch wenn ich von mir selbst behaupten würde, noch lange nicht fließend Wissenschaftli(s)ch zu können. Wenn man eine neue Sprache lernt, hilft es ungemein, sich mit Menschen auszutauschen, die diese Sprache bereits sehr gut oder sogar fließend sprechen. Jede*r der/die schon einmal versucht hat, Spanisch, Französisch oder Italienisch über „Duolingo“ zu lernen und dann in der Anwendung im Urlaub kläglich gescheitert ist, weiß wovon ich spreche. Es sind die Menschen, die unsere Schritte in der Welt der Wissenschaft begleiten und die sich nicht zu fein sind, auch die dreiundzwölfzigste „dumme“ Frage geduldig zu beantworten.
Nehmen wir beispielsweise den YouTube Klassiker „Sozialpsychologie mit Professor Erb“. Die hübsche Studentin Judith befragt den bärtigen Professor im Anzug zu verschiedensten Themen rund um das spannende Fach der Sozialpsychologie. Abgesehen davon, dass diese Videos wirklich gut gemacht sind, fand ich sie doch von Anfang an irgendwie seltsam, weil ich mich immer wieder gefragt habe, in welcher Beziehungdie beiden zueinander stehen könnten und wer davon wohl profitiert. In jedem Fall scheint Judith viel von Professor Erb gelernt zu haben. Machen Sie sich selbst einen Eindruck, die Videos sind auf YouTube leicht zu finden.
Wenn ich darüber nachdenke, gab es in fast jeder Phase meines bisherigen Erwachsenenlebens eine Person, die mich unterstützt und gefördert hat und die mir von Anfang an mehr zugetraut hat, als ich es selbst tat und tue. In meiner Ausbildung zur Physiotherapeutin wurde beispielsweise bereits im ersten Lehrjahr eine meiner Lehrerinnen zu meiner Mentorin, die mich in die Welt der Gruppenfitness eingeführt und meine Begeisterung für das Unterrichten eben dieser Kurse geweckt hat. Das hat mir nicht nur geholfen und mich vor allem in stressigen oder schwierigen Phasen motiviert, sondern es hat mich auch nachhaltig beeinflusst, denn später wurden wir für ein paar Jahre zu Kolleginnen und die Freundschaft und der Austausch sind bis heute geblieben. Und was auch noch bleibt, ist ein tiefes Gefühl von Dankbarkeit und das Bedürfnis, etwas zurückund weiterzugeben.
Wenn ich heute angehende Gruppenfitnesstrainer*innen auf ihrem Weg begleite, dann erinnere mich daran, wie es bei mir war und ist und freue mich immer wieder über das Privileg, die Erfolge meiner Schützlinge sehen und daran teilhaben zu dürfen.
Auch in den Reihen der DIPLOMA habe ich nun wieder eine Mentorin gefunden, die mich durch diese oft verwirrende Welt des Studiums begleitet und von der ich bereits sehr viel lernen und wertvolle Tipps mitnehmen durfte, die weit über das rein Inhaltliche hinausgehen. Als ich sie mal fragte, warum sie mich eigentlich unterstütze, antwortete sie sinngemäß, dass auch sie eine lange Kette an Mentor*innen hatte und habe, dass sie das als eine Art sähe, wie wir einander helfen und dass sie das irgendwie richtig fände. Sie verwendete das Bild einer Kette von Menschen, die anderen bei bestimmten Entwicklungsschritten helfen. Als Zeug*innen, Wächter*innen, Begleiter*innen. Ich wünsche mir, dass jede*r von uns und vor allem die „Arbeiterkinder“ so eine*n Dolmetscher*in für sich in dieser Kette findet.

Text: Elli Kutscha

Illustration: ©Anne Trieba

Illustration: ©Anne Trieba

Hochschulleben