Fernstudium auf der Schafweide: Entwicklung im Kreislauf des Lebens
Online-Studium und Schafherde, wie geht das zusammen?
Es ist ein Aufbruch zu Dingen, die ich schon immer wollte. Ich möchte das Gestalten professionalisieren und gleichzeitig unsere Schafherde aufbauen. Das sind beides Dinge, die mich im Leben auf eine positive Weise herausfordern. Im Studium wie auch in der Landwirtschaft muss ich meine Komfortzone verlassen. Das ist wie im Sport: Wenn man mal über seine Kräfte ein bisschen hinausgeht und am Ende mit tollem Abschneiden belohnt wird. So ist es im Studium auch. Aber konkret habe ich derzeit eine Pause eingelegt – das hat familiäre Gründe.
Nächstes Jahr im Frühjahr geht‘s vielleicht weiter. Ja, wie gehen diese beiden Dinge zusammen? Sehr natürlich, würde ich sagen. Wir – mein Mann und ich – arbeiten selbstbestimmt mit den Tieren in der Natur, an der frischen Luft. Und in diese freie Zeiteinteilung passt die Selbstorganisation des Studiums sehr gut.
Du hast die Selbstbestimmtheit erwähnt: Kannst du dazu noch was erzählen?
Das Studium ist Teil von unserem generellen Plan. Wir – mein Mann und ich – wollen die Schäferei voranbringen. Aber wir waren und sind immer auch in parallelen Anstellungen. Insofern mussten wir die Mehrfachbelastung, die aus familiären Gründen entstand, immer wieder neu ausbalancieren. Deswegen habe ich das Studium erst mal zurückstellen müssen. Insofern will ich sehr selbstbestimmt sein und bin das auch. Diese Kompromisse zwischen
Beruf und Familie gehören dazu! Deshalb weiß ich auch gar nicht, ob ich eine besonders typische Kandidatin für dein Interview bin.
Die Mehrfachbelastung und das Kalkül, dazwischen eine Balance zu finden, verbindet uns alle hier. Ich finde immer verdächtig, wenn sich Geschichten ums Fernstudium sich so glatt anhören. Ich denke, dass es die Widerstände neben dem Studium sind, die uns ganz besonders bilden.
Ja, an Widerständen habe ich tatsächlich einiges zu bieten! Allein diese Antwort, die ich schon mehrfach anfangen musste, weil mein Baby andere Ideen hat. Abgesehen davon finde ich das Studium selbst eigentlich ziemlich gut machbar. Gerade die Vorlesung am Samstag und am Abend konnte ich gut hinbekommen. Auch der Zusammenhalt in der Gruppe war gut. Das - hoffe ich - hat sich nicht verändert. Ich hatte das Gefühl, dass es den anderen ähnlich geht und wir daher ein gutes Verständnis füreinander und das Zeitmanagement hatten.
Du hast erzählt, wie du das Studium mit der Familie und deiner hauptberuflichen Arbeit zusammenbringst. Wie viel Verständnis haben die Schafe dafür?
Hier wirkt sich die Flexibilität aus. Das genieße ich sehr. Ich kann vor oder nach der Lehrveranstaltung noch schnell was machen. Und dann ist es egal, wie man aussieht. Oder wie man riecht – direkt aus dem Stall
würde man ja nicht in eine Vorlesung gehen. Und es ist auch eine Lernstrategie: Bei der Arbeit mit Pferden, Hunden und Schafen kann ich das Gehörte noch mal auf mich wirken lassen. Aber auch ganz konkret:
Du darfst dich auch nicht zu schnell bewegen. Sonst überträgt sich deine Hektik auf die Tiere. Von der regelmäßigen Übung in Ruhe profitiere ich auch beim Studium. Das Klausurschreiben ist dann ein schönes Kontrastprogramm, wenn man die Mitstudierenden dann auch physisch sieht.
Dann ist das vermutlich auch mal die Gelegenheit, ohne Tiere und Kind zu sein!
Dann schon. Grundsätzlich ist mein Fokus beim Studium eher um das Integrieren von den unterschiedlichen Ansprüchen und Anforderungen. Insofern funktioniert jedes andere Format des Studiums für mich nicht. Denn ich möchte mit dem Studium den „Titel zum Kittel“ machen, wie Du weißt. Ich arbeite schon mehrere Jahre als Mediendesignerin. Und abseits von Metropolen zu studieren, mit Familie und Tieren, das ist für mich ein wichtiges Stück Autarkie.
Das finde ich interessant. Anspruchsmanagement, Autarkie und Fernstudium ...
... darin liegt so etwas wie unser existenzielles Spannungsfeld: In der Arbeit mit Tieren erleben wir die ganze Spannbreite des Lebens. In den Lammzeiten, also bei der Geburt der Schafe, liegen Freud und Leid so nah beieinander. Eine Demut vor dem Kreislauf des Lebens lernt man meiner Meinung nach am besten in der Natur. Und wir Schäfer:innen leisten unseren Teil dabei. Die Schafe pflegen die Kulturlandschaft und sorgen für ein Gleichgewicht. Auf der anderen Seite produzieren sie hochwertige Lebensmittel und ein so tolles Material, die Wolle. Ich hoffe, dass Leser:innen dieses Interviews spüren, „wo Schäfchen-Locken im Winde wehen, wir der Natur Vielfalt sehen“. Das ist für uns ein ganz zentraler Leitspruch. Ich bin sehr froh, dass unser Sohn in einer solchen Natürlichkeit aufwachsen kann. Und in dieser Natürlichkeit ist das Studium ein wichtiger Aspekt, ein Mittel zum Zweck, damit wir unsere Rolle in diesem Kreislauf spielen können.
Dem ist nichts hinzuzufügen. Für heute schließen wir den Kreis – vielen Dank für dieses schöne Gespräch!
Interview: Prof. Dr. Andreas Lanig

Kerstin Tolksdorf