„Das bewegt…“: Interview mit Prof. Dr. Udo Stern aus der Ethikberatung Über Würde, Werte und Intelligenz
Prof. Dr. Kathrin Rothenberg-Elder (KRE): Lieber Udo, woraus besteht für Dich eigentlich der Intelligenzbegriff?
Prof. Dr. Udo Stern (US): Intelligenz bedeutet für mich die Möglichkeit zur Verarbeitung von Informationen in unterschiedlicher Qualität. Das ist die Basis.
KRE: Gibst du mir ein Beispiel?
US: Wichtig ist vor allen Dingen, die Frage des Kontextes. Datenverarbeitung an sich erfolgt ja schon pränatal. Aber diese Verarbeitung ist noch lange nicht intelligentes Handeln und Verarbeitung, die reine Ausbildung von Zellen hat noch kein intelligentes Verhalten. Denn zu intelligentem Verhalten gehört, in Resonanz mit den Daten und der Umgebung zu gehen.
KRE: Was wünscht du dir von der Intelligenz von Studierenden?
US: Ich wünsche mir, dass sie Möglichkeiten und Ressourcen zur Selektion und zur zielgerichteten Datenverarbeitung nutzen, Resonanz herstellen, daraus neue Handlungen und neue Gedanken kreieren. Natürlich sind schon viele Gedanken einmal gedacht worden, aber die Eigenständigkeit der einzelnen Personen, des eigenen Denkens unabhängig davon, was schon gedacht worden ist, ist eine große Qualität bei der sinnvollen Verknüpfung von Daten.
Das ist ja auch so eine Gretchenfrage: Wer ist stärker, Mensch oder Maschine? Wichtig ist es, die sogenannten intelligenten Angebote zu nutzen, dort, wo sie bei sich selbst zu einem autarken, eigenständigen Prozess führen, und das kann eben eine Maschine nicht, und das geht auch mit Copy & Paste nicht.
Wir sortieren, selektieren und rekonstruieren Wissen, das ist intelligent und das hat auch einen hohen ethischen Bezug.
KRE: Wie meinst du das?
US: Die zielgerichtete Verarbeitung von Informationen meint nicht eine reine Datensammlung, sondern es verknüpft Vertrauen, Empathie, humanistische Grundlagen wie die Würde, die immer unverletzlich und nicht zu diskutieren und unveränderlich ist, wie es ja auch schon im Art. 1 des Grundgesetzes heißt. Das ist nicht reines Papier, sondern muss wirklich gelebt werden. Es geht um Denkhandlungen, die über die reine Datensammlung und Datenverarbeitung hinausgehen, das meint Intelligenz.
Würde ist dabei zentral, die Basis des Umgangs miteinander. Der würdevolle Umgang miteinander ist elementar für eine demokratische Norm und Normalität. Aber zunehmend kommt es zu Verletzungen dieser Normalität und Norm. Wir konstatieren, dass der würdelose Umgang miteinander gesellschaftsfähig wird. Hier blicke ich wirklich mit Sorge auf die aktuelle politische Debatte. Das Infragestellen der Würde widerspricht jedem gleichwertigen Umgang, soziologisch wie juristisch.
Hier kommen wir auch zu der ganzen Rubrik der nicht intelligenten Handlungen, etwa wenn sich Menschen von Fiktionen treiben lassen, von schrägen Haltungen gegenüber der eigenen Wertigkeit, die sich in der reinen Sammlung von Statussymbolen und Geldwerten zu erschöpfen scheint. Das ist wirklich schräg, und führt auf Dauer auch zu einem Verschleiß, zur Anfälligkeit von Stress, weil man immer wieder nutzlosen Fiktionen hinterherjagt und die wahren Geschenke des Lebens gar nicht annimmt, die uns geboten werden, weil sie scheinbar zu klein sind. Das ist höchst unintelligent.
KRE: Wie können Lehrende einen würdevollen Umgang mit ihren Studierenden pflegen?
US: Da geht es vor allem darum, sie so anzunehmen, wie sie sind.
KRE: Wie sieht es praktisch aus?
US: Es bedeutet einen gleichwertigen Umgang mit den Studierenden. Auch wenn wir in einem Lehrverhältnis zu ihnen stehen, ist dieser Grundsatz durchgehend zu realisieren. Da spielt wieder die Achtung der Würde des Menschen mit hinein.
KRE: Vor was für Herausforderungen steht hier vielleicht unsere Hochschule?
US: Wir müssen uns im realen Leben mit der Würde der Menschen auseinandersetzen, unser Leitbild wirklich mit Leben füllen, die Achtung vor dem Menschen und seiner Würde uns immer wieder in Erinnerung rufen.
Das betrifft die sprachliche Ebene des Zugewandtseins, das Verständnis füreinander, auch etwa, wenn ein Studierender gerade durch persönliche Ereignisse vielleicht nicht so fit, proaktiv und fleißig ist, wie sonst oder allgemein wie seine Kommiliton:innen. Die Belastung, unter der viele der Studierenden stehen, ist hoch. Der werteorientierte Anspruch an unsere Lehre hat so auch etwas mit emphatischer Zugewandtheit gegenüber den Studierenden zu tun. Es geht grundsätzlich immer wieder darum, für alle miteinander wertschätzend umzugehen, was natürlich das eigene Handeln ebenso umfasst. Und das ist ein guter, ethischer und intelligenter Umgang miteinander.
KRE: Danke, lieber Udo, für diese spannenden Gedanken.
