Alles gleich?
Es war ein anstrengender Lehrtag gewesen. Es war ein wunderbarer Sommerabend, gerade kurz vor der
Dämmerung. Aber schon nach wenigen Kilometern schlich sich Angst in meine Freude. Ich war die einzige Frau auf dem Fahrrad. Als ich mich umschaute, entdeckte ich, dass ich die einzige Frau war, die sich überhaupt offen auf der Straße bewegte. Die einzigen Frauen, die alleine unterwegs waren, saßen alleine im Auto. Ich fühlte mich verletzlich, kontrollierte meine Kleidung, ob man von hinten von der Seite direkt auf den ersten Blick sehen würde, dass ich eine Frau war. Und ich wurde wütend wie selten, wie absurd das ist: dass ich überlege, wie weit ich mich travestieren muss, um die Freiheit zu haben, halbwegs unbefangen an einem frühen Sommerabend alleine mit dem Fahrrad unterwegs zu sein. Nicht aus dem Akt der Befreiung trug ich Hosen, sondern um mich zu schützen. Um mich weniger angreifbar zu machen, die Wahrscheinlichkeit zu senken, Opfer zu sein. Es war ein sehr dunkler Moment, aber auch ein sehr lehrreicher. Jahrelang hatte ich meinen Töchtern beigebracht, sich bei nächtlichen Fahrradfahrten möglichst männlich anzuziehen, lange Haare zu verdecken, sichtbare Frauenschuhe auf dem Heimweg zum Beispiel gegen Turnschuhe zu tauschen. Tiefe Scham ergriff mich. Wie absurd ist das. Wie konnte ich nur.
Bildung ermächtigt uns. Wir sind eine Ermächtigungsorganisation als Hochschule. Gerade deshalb muss es uns
klar sein, wie häufig sich auch bei uns 50 % der Menschheit nicht frei kleiden kann, sich nicht frei bewegen kann, nicht weil wilde Wölfe lauern, sondern wegen der allgemein verbreiteten Gefahr, egal wie alt wir sind, als Frauen Opfer zu werden von sexualisierter Gewalt.
Und wie es so ist, stieß ich nur ein paar Tage später auf eine wunderbare internationale Organisation:
Fancy women bike ride https://de-de.facebook.com/fancywomenbikeride/, die international für die Rechte der Frauen demonstrieren, sich in ihrer Bewegungsfreiheit nicht einschränken zu müssen, in der Wahl ihres Verkehrsmittels, und ihrer Wahl der Bekleidung dabei. Kann es eine Lösung sein, es einfach zu riskieren? Wenigstens eine Lösung habe ich dafür: Mich politisch und gesellschaftlich dafür einzusetzen, dass Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht die gleiche Bewegungsfreiheit haben. Das bin ich mir als Frau, Mutter und Professorin schuldig.
Text: Prof. Dr. Rothenberg-Elder

Illustration @Anne Trieba